Gorkana Aunsi

Ein Exil und seine Blüten – TibeterInnen in Nepal

Nepal, das Land der Yaks und Yetis, der schneebedeckten Gipfel des Himalaya und buddhistischer Mönche in gelb-roten Roben – so weit zu den Klischees. Bis Mai 2008 war Nepal noch eine Monarchie, und dem Selbstverständnis nach das einzige Hindukönigreich der Welt. Hinduismus bildete bis 2006 die Staatsreligion, erst mit der Entmachtung des Königs bekannte sich das nepalesische Parlament zum Säkularismus. Nur etwa 15% der Bevölkerung in Nepal sind AnhängerInnen der Lehre Buddhas, der überwiegende Teil davon kleine tibeto-birmanische Gruppen, die sich über das gesamte Staatsgebiet verteilen (vgl. Gellner 1992: 52ff). Hinzu kommen noch die etwa 100.000 tibetischen Flüchtlinge – ein Großteil davon Buddhisten – die ab 1959 ins Land drängten. Wie sich der Status dieser Flüchtlinge in den folgenden Jahrzehnten verändert hat, möchte ich in diesem Artikel aufzeigen.

Tibetische Mönche auf Swayambhunath © Walter Feichtinger

(Tibetischer) Buddhismus in einer hinduistisch geprägten Gesellschaft

Die Sozialstruktur in Nepal lässt sich wie folgt umschreiben: Im Mittelpunkt von konzentrisch angeordneten Kastengruppen sitzt der König. Diese Vorstellung ist nicht nur ein abstraktes Modell der Kosmologie, sondern spiegelt sich auch im Aufbau der alten Königsstädte im Kathmandutal wieder. Die verschiedenen Kastengruppen sind entsprechend ihrer Bedeutung für das dominante Zentrum und einer rituellen Hierarchie um den Königspalast angeordnet. Auch nicht-hinduistische Gruppen werden in diese Vorstellung inkludiert: BuddhistInnen, MuslimInnen und andere Glaubensgemeinschaften sind damit Teil eines Kastensystems.

Buddhismus wird in Nepal von vielen als Zweig des Hinduismus gesehen. Entsprechend einer Anekdote erhält man, wenn man eine/n Newar (Angehörige der ältesten ethnischen Gruppe im Kathmandutal) fragt, ob sie/er denn Hindu oder BuddhistIn sei, als Antwort ‚Ja‘ (vgl. Gellner 1992: 41). Das ist eine etwas verkürzte Behauptung, eine klare Trennung beider Religionen spielt im Alltag jener, die nicht zu einer religiösen Elite gehören, jedoch keine Rolle. Liest man am Eingang eines Schreins die Worte ‚Nur für Hindus‘, so ist eigentlich gemeint: nur für kulturelle Hindus. BuddhistInnen sind nicht ausgeschlossen, das gilt auch für TibeterInnen. Ein Umstand der von tibetischen Mönchen auch (aus)genutzt wird, wie folgende Beispiele zeigen:

Tibetischer Mönch während Gokarna Aunsi © Walter Feichtinger

Gokarna Aunsi ist ein traditionelles hinduistisches Totenritual, das einmal im Leben für den verstorbenen Vater durchgeführt wird. Während der zentralen Handlungen wird ein Teigkloß, der für den Vater steht, mit den Klößen seiner Ahnen verbunden und dem Wasser des Flusses Bagmati übergeben. Man sollte daher meinen, dass nur Hindus zum Gelände des Shivatempels nahe dem abgelegenen Ort Gorkana pilgern. Doch gleich hinter dem Eingang des Areals beanspruchen tibetische Mönche die besten, überdachten Logenplätze, während die hinduistischen Ritualspezialisten auf den freien Flächen im allgegenwärtigen Schlamm sitzen. Auch bei anderen Ritualen, deren Kern durch hinduistische Kulthandlungen geprägt ist, wie dem jährlichen Khumbeshvar Jatra in Patan, sind tibetische Mönche zugegen und bieten alternative Dienstleistungen für die PilgerInnen an.

Die Geschichte einer Exilökonomie

Als der Dalai Lama 1959 aus Lhasa floh, übernahmen die MaoistInnen schnell die vollständige Kontrolle über das tibetische Plateau und lösten damit eine Massenflucht nach Süden aus. Zu diesem Zeitpunkt fanden etwa 20.000 TibeterInnen Zuflucht in Nepal, diese Zahl wuchs in den folgenden Jahrzehnten auf geschätzte 100.000 an, wobei etwa ein Drittel behördlich registriert wurde und damit in den offiziellen Statistiken aufscheint. König Mahendra stellte Land für Flüchtlingssiedlung nähe Kathmandu, Solokhumbu und Phokara zur Verfügung. Auch heute leben dort noch viele TibeterInnen, sowohl jüngst geflohene, als auch jene in der zweiten und dritten Generation, und nutzen die weitgehende Steuerfreiheit in diesen Zonen.

Viele der Flüchtlinge haben es in den folgenden Jahrzehnten zu Wohlstand gebracht. Um die nepalesische Staatsbürgerschaft zu erwerben, behauptete man, nahe Verwandte bei den tibetisch-stämmigen Sherpa oder Tamang zu haben und nahm einen der für diese Gruppen typischen Familiennamen an. Zu Beginn der 1960er bestand noch keinerlei Infrastruktur in den Flüchtlingsgebieten, die Menschen waren weitgehend auf fremde Hilfe angewiesen. Mitte der 1980er allerdings existierte bereits eine Teppichindustrie, die mehr Devisen ins Land brachte als der florierende Tourismus: Geld das innerhalb der eigenen Community für den Aufbau von Schulen und Krankenhäusern reinvestiert wurde (Moynihan 2004: 312 ff).

Ökonomie der Religion

Parallel zu dieser weltlichen entstand allerdings auch eine religiöse Infrastruktur. Bodhnath, nordöstlich der nahe gelegenen Hauptstadt Kathmandu, war im Jahre 1959 nur eine kleine Tamangsiedlung um einen zentralen Stupa (ein Monument, das die Buddha-Natur versinnbildlicht) aus dem siebten Jahrhundert. Heute reiht sich ein Geschäft an das nächste, PilgerInnen wie TouristInnen werden Produkte eigener Handwerkskunst feil geboten, die sich zwischen hochwertigen Kultgegenständen (Paraphernalien) und billigen Andenken (Devotionalien) bewegen. Dahinter findet sich eine Vielzahl neuer Klosteranlagen in bunten Farben, ausgestattet mit überlebensgroßen, goldenen Buddhastatuen. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch auf Svayambunath, dem anderen großen Stupa nordwestlich der Hauptstadt. Ende der 1950er war diese Pilgerstätte auf einem Berggipfel noch von dichtem Wald umgeben. Heute ist nicht mehr viel von diesem Wald übrig, auch hier reiht sich eine tibetische Klosteranlage an die andere. Im Prinzip existiert im Kathmandutal eine eigene Variante des Mahayana-Buddhismus, die untrennbar mit der hinduistischen Kastenstruktur der Newar verwoben ist. Doch eben diese Kastengrenzen machen es Außenstehenden unmöglich, die zentralen, gruppenspezifischen Rituale zu praktizieren. Für jene, die sich für ein buddhistisch geprägtes Leben jenseits der eigenen Kastenschranken interessieren, bleibt der Gang in ein tibetisches Kloster oder das Engagement in einer der noch sehr jungen Theravada Gemeinschaften. Die aufwändigen Opferungen von Naturalien, die einen wichtigen Teil aller großen Newar Rituale darstellen, „vernichten“ viel an Wert, der im Vergleich dazu tibetischen Klöstern und Theravada Viharas als Geldspenden direkt zugute kommt.

Stupa in Bodhnath © Walter Feichtinger

Zusammengefasst hat die Erfolgsgeschichte der TibeterInnen in Nepal mehrere Ursachen. Als (ehemalige) Flüchtlinge genießen sie immer noch finanzielle Zuwendungen von europäischen und US-amerikanischen GönnerInnen. In der Außenwahrnehmung ist der tibetische Buddhismus in Nepal präsenter als sein lokales Gegenstück bei den Newar. Ausländische PilgerInnen kaufen ihre Devotionalien in den tibetischen Geschäften im innersten Gebäudering um den Stupa in Bouddha und zahlen saftige Studiengebühren für Buddhism Studies in den Klöstern gleich dahinter. Die Kastengrenzen der hinduistisch geprägten Mehrheitsgesellschaft treffen für die tibetischen Flüchtlinge nicht wirklich zu, sie stellen daher keine strukturellen und somit auch keine ökonomischen Hindernisse dar. Opfergaben und Spenden werden als Bargeld gegeben und kommen direkt dem Aufbau einer weiter wachsenden religiösen Infrastruktur zugute. In Tibet fiel die buddhistische Klosterkultur der maoistischen Kulturrevolution zum Opfer. In Nepal jedoch verhilft ihr die Exilgemeinde zu einer neuen Blüte: in modernem Gewand, frei von verkrusteten, theokratischen Feudalstrukturen.

Literatur:

Gellner, David N. (1992): Monk, Householder and Tantric Priest. Newar Buddhism and its Hierarchy of Ritual. New Delhi, Cambridge University Press.

Moynihan, Maura (2004): Tibetan Refugees in Nepal. In: Bernstorff, Dagmar / von Welck, Hubertus (Hrsg.): Exile as Challenge. The Tibetan Diaspora. New Delhi, Orient Longman Private Limited. S. 312-321.

* Dieser Text erschien erstmals in Die Maske – Zeitschrift für Kultur- und Sozialanthropologie, Vol.4, Jänner 2009.

Logo Universität Wien

Die 4. Tage der Kultur- und Sozialanthropologie

Sechzehn Workshops und rund 90 Vortragende: Damit waren die 4. Tage der Kultur- und Sozialanthropologie am 10. und 11. April 2008 ähnlich umfangreich konzipiert wie im letzten Jahr. Gemeinsam vom Institut, der Forschungsstelle für Sozialanthropologie der Akademie der Wissenschaften und dem Museum für Völkerkunde veranstaltet, dienen sie der Vernetzung der Fachgemeinschaft. Sie stellen vor allem für junge WissenschafterInnen eine wichtige Möglichkeit dar, ihre Arbeiten zu präsentieren. Das Echo seitens der unteren Semester blieb jedoch leider gering.

Tag 1 – 10. April 2008

Den Auftakt zur Veranstaltung gab Dr. Mareile Flitsch von der Technischen Universität in Berlin. Sie sprach über „die Chancen einer Erforschung praktischen Alltagswissens für die moderne Ethnologie“. Herkömmliche Fertigkeiten werden zunehmend verdrängt, wertvolle Wissenspotenziale gehen verloren. Am Beispiel Chinas zeigte Dr. Flitsch auf, welchen Beitrag Technikethnologie zum Erhalt dieser Potenziale leisten kann.

Die folgenden Workshops können aufgrund ihrer großen Bandbreite nur skizzenhaft wiedergegeben werden. „Anthropologie des Pilgerns“ zeigte in vielen Regionen die Zunahme volksreligiöser Praxis aufgrund neuer technischer Möglichkeiten und die damit einhergehende „spirituelle Globalisierung“ auf. Der Workshop „Jenseits der Anthropologie“ verdeutlichte, dass Ansätze wie Hybridisierung und Kreolisierung zur Erklärung postkolonialer Gegenwart oft nicht mehr ausreichen.

Der erste Tag schloss mit einer Reihe von Buchvorstellungen: Prof. Elke Mader präsentierte ihr aktuelles Buch Anthropologie der Mythen und Dr. Christian Feest ein Reihe von Publikationen von Museum und dem Archiv für Völkerkunde. Dr. Marie-France Chevron stellte die finale Publikation der Wiener Ethnohistorischen Blätter Erscheinungsformen des Wandels vor und kündigte anschließend eine Folgezeitschrift an, die sie gemeinsam mit Prof. Werner Zips herausbringen wird.

Tag 2 – 11. April 2008

Am zweiten Tag zeigte eine Reihe von ReferentInnen, dass „Kultur- und sozialanthropologisches Know-how in unterschiedlichen Berufsfeldern“ außerhalb des Wissenschaftsbetriebes Anwendung findet. Der Workshop „dagegen!“ untersuchte Subkulturen, Jugendkulturen und Szenen wie das „Schwarze Wien“ mittels anthropologischer Ansätze. Details zu den erwähnten und weiteren Workshops finden sich im Book of Abstracts.

In der abschließenden Podiumsdiskussion zum „ungeliebten, verkannten und vergessenen“ Museum für Völkerkunde in Wien wurde unter der Moderation von Dr. Thomas Fillitz heftig über dessen Zukunft debattiert. Dr. Paul Frey, kaufmännischer Geschäftsführer des Kunsthistorischen Museums, hob den potenziellen Eventcharakter hervor. Wir leben in einer „Erlebnisgesellschaft“, wird das berücksichtigt, könnten Museen zukünftig boomen. Ein Konzept, das offenbar auch bei der aktuellen Tutanchamun Ausstellung verfolgt wird. Dr. Dieter Bogner, der Moderator der Zukunftsdiskussion über die Bundesmuseen, hob hervor, wie dringend es ist, eine neue Identität und ein neues Profil zu finden. Es schloss sich eine Diskussion um einen möglichen neuen Namen des Museums an, nicht zuletzt wegen des belasteten Begriffes Volk. „Kulturhistorisches Museum“ würde Gleichreihung mit den Kunst- und Naturhistorischen Museen bedeuten. Prof. Andre Gingrich schlug „Museum der Weltkulturen“ vor. Weitgehend ausgespart wurde in der Diskussion die Rückgabe geraubter Kulturschätze. Das ist jedoch eine Frage, die noch beantwortet werden sollte, bevor man sich ein „Weltkulturmuseum“ nennen darf.

Wie Prof. Gingrich sagte, der Streit um das Völkerkundemuseum muss ein öffentlicher sein. Eine Öffentlichkeit, die ich auch den Tagen der Kultur- und Sozialanthropologie in ihrer Gesamtheit wünschen möchte.

* Dieser Text erschien erstmals in Die Maske – Zeitschrift für Kultur- und Sozialanthropologie, Vol. 3

* Update: Das ehemalige „Völkerkundemuseum“ nennt sich nun Weltmuseum Wien.